Bullenbahn Berlin Schöneweide
Die sogenannte "Bullenbahn" in Oberschöneweide war eine Industrieanschlussbahn, die von 1890 bis 1996 in Betrieb war. Die "Bullenbahn" war von 1890 bis 1953 an den Güterbahnhof Johannisthal-Niederschöneweide an der Görlitzer Bahn angeschlossen. Ab 1899 war sie zudem, bis 1979 über die Edisonstraße und danach über die Nalepastraße, an den Verschiebebahnhof Rummelsburg angeschlossen. Die "Bullenbahn" bediente Fabriken im Gebiet Niederschöneweide/Oberschöneweide bis Rummelsburg.
Der offizielle Name war "Industriebahn Oberschöneweide". Im Volksmund wurde die Bahn einfach "Bulle" genannt. Dieser Name wandelte sich mit den Jahren in "Bullenbahn", der heute am geläufigsten ist, wobei damit sowohl die verschiedenen Lokomotiven der Fuhrunternehmen sowie die Werkbahnen der Fabriken als auch die Gleisanlagen an sich gemeint waren.
Im Jahre 1890 lies die Grundrenten-Gesellschaft ein Eisenbahngleis über eine extra dafür gebaute Holzbrücke vom Güterbahnhof Johannisthal-Niederschöneweide an der Görlitzer Bahn nach Oberschöneweide in die Wilhelminenhofstraße verlegen. Zudem wurde ein Gleis in die Tabbertstraße verlegt.
Ein Jahr zuvor hatte die Grundrenten-Gesellschaft das Gut Wilhelminenhof mit umliegenden Land gekauft und parzelliert. Es entstanden Mietshäuser im nördlichen Teil und Fabrikgelände am Spreeufer. Die bekanntesten Fabriken, die dort ansässig wurden, sind die Fabriken der Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) des Emil Rathenau - Kabelwerk Oberspree (KWO), Transformatorenwerk Oberspree (TRO), sowie der Peter-Behrens-Bau der Nationale Automobil-Gesellschaft (NAG).
Das Gut Wilhelminenhof wurde bereits 1717 als "Quappenkrug" erwähnt. Eventuell hatte der Quappenkrug seinen Namen vom gleichnamigen Fisch, der Quappe. Dieser galt schon im Römischen Reich als hervorragender Speisefisch und seine vor der Laichzeit fettreiche, große Leber war von Feinschmeckern sehr begehrt. Ein Krug war eine Gastwirtschaft mit Ausschankrecht. Um 1750 ist dieses Anwesen verfallen. Bis 1793 wurde es umfangreich als Ausflugslokal mit mehreren Gebäuden, Kegelbahn und Bleichhaus aufgebaut. Auf beiden Seiten der Spree befanden sich zu dieser Zeit weitere Bleichhäuser, wie die Schmiedeckes Bleiche, unweit der Köpenicker Textilfabriken. Im Jahr 1814 wechselte der Besitzer. Dieser lies das alte Wohnhaus zu einem schloßartigen Gutshaus umbauen und einen Park anlegen. Das Anwesen bekam sodann den Namen seiner Frau: "Wilhelminenhof". Der Eigentümer des "Gut Wilhelminenhof" war von 1851 bis 1889 der Gutsbesitzer Abernetty. Dieser verkaufte das Gut mit Ländereien an die Grundrenten-Gesellschaft.
Der Wilhelminenhof war bis um 1910 als Schloßpark "Wilhelminenhof" existent. Bis 1935 erinnerte die Schloßparkstraße an ihn, die heute Reinbeckstraße heißt.
Weitere historische Gastwirtschaften in der Nähe waren die "Neue Scheune" (später "Tabbert's Waldschlösschen), das Forsthaus "Die Kanne" am Kannegraben (später Kunheims Chemische Fabrik Werk "Kanne" / Kali-Chemie) und der "Neue Krug" (später DeTeWe / Kraftwerk Schöneweide).
In der Gegend "Oberspree" befanden sich um 1900 auf beiden Seiten des Spreeufers weitere Ausflugslokale, die als "Etablissements" bezeichnet wurden. Es gab dort seit 1866 zwei Dampferanlegestellen und ab 1874 den Bahnhof "Neuer Krug-Johannisthal" (Bahnhof Schöneweide).
Der Name "Schöne Weyde" findet erstmals im Jahre 1598 südlich der Spree Erwähnung. Seit Anfang des 17. Jahrhunderts ist das spätere Niederschöneweide als Teerofen, benannt nach der dort befundenen Teerschwelerei, die auch schon "Schöneweide" genannt wurde, bekannt. Ab 1778 ist es als "Neuer Krug", nach dem gleichnamigen Ausflugslokal, bekannt. Von Berlin aus führt seit jeher die "Neue Krug Allee" am Treptower Park nach Schöneweide. Bis zur Gemeindegründung "Niederschöneweide" im Jahr 1878 wurde der Ort auch Kattunbleichen, benannt nach den dort befindlichen Textilbleichen, genannt. Die Gemeinde Oberschöneweide wurde 1898 gegründet.
Während in Niederschöneweide die Industrialisierung mit der Kattundruckerei Wolff (1834, mit 13 Dampfmaschinen), der Shoddy- und Wollwarenfabrik John Blackburn (1869), Kunheims Chemischer Fabrik (1871) und der Tuchfabrik Lehmann (1881) begann, sowie auch die Borussia Brauerei (1882) die anderen Vergnügungslokale in der Nähe mit verschiedenen Attraktionen und einem Tanzsaal für 2000 Gäste immens übertraf, galt das gegenüberliegende Ufer mit dem Schloßpark "Wilhelminenhof" bis 1890 noch als Erholungsgebiet. Nach der Industrialisierung durch Rathenows Elektrofabriken erhielt Oberschöneweide den Beinamen "Elektropolis".
Die Grundrenten-Gesellschaft betrieb die "Bullenbahn" nicht selbst, sondern verpachtete sie. Der erste Betreiber der "Bullenbahn" war ein Fuhrunternehmer, der unter dem Namen "Güterbahngesellschaft Oberschöneweide" firmierte. Er soll die Güterwagen auch mit Pferden und Ochsen bewegt haben. Nahe des 1874 eröffneten Bahnhofs im späteren Niederschöneweide befand sich bereits 1841 ein Ochsenstall. 1901 wurde die "Bullenbahn" an die Berliner Ostbahnen verkauft. Diese elektrifizierte die Strecke und betrieb sie mit Elektrolokomotiven.
Über die Entstehung des Namens "Bulle" gibt es verschiedene Geschichten. Einmal sollen die Ochsen des ersten Fuhrunternehmers der Ursprung sein, andermal die ab 1901 eingesetzten Elektroloks von AEG, die ein bulliges Aussehen hatten. Vielleicht hat aber auch diese Abfolge den Namen entstehen lassen.
Die Holzbrücke über die Spree wurde 1908 durch eine dreibogige Eisenfachwerkbrücke - die Stubenrauchbrücke - ersetzt. 1898 wurde schon der Kaisersteg als Fußgängerbrücke und 1904 die Treskowbrücke, beide als Eisenfachwerkbrücken, gebaut.
Die Gleise der Straßenbahn verliefen in Oberschöneweide parallel zu den Gleisen der Bullenbahn. Es gab aber eine Verbindung beider. Der Straßenbahnhof 15 in der Nalepastraße wurde auch von der Bullenbahn genutzt. In der Wilhelminenhofstraße gab es auf der Seite der Fabriken keinen Fußgängerweg, da dort die Gleise verliefen.
Die Stillegung der Gleise in der Edisonstraße und die Neuverlegung in der Nalepastraße im Jahr 1979 ist wohl durch das erhöhte Verkehrsaufkommen entstanden. Zudem soll es kurz davor eine Entgleisung in der Edisonstraße gegeben haben. Der Bau der Autobrücke an der Kreuzung Rummelsburger Straße/ Edisonstraße/Hermann-Duncker-Straße(Treskow Allee)/An der Wuhlheide ist wohl weniger dafür verantwortlich, da diese erst 1989 gebaut wurde.
Heute sind noch einige Gleisreste vorhanden, sowie sogenannte Drehscheiben, die einen Richtungswechsel der Güterwagen auf kleinem Raum ermöglichen. Zudem gibt es auf einem Fabrikgelände noch Reste einer Schmalspurbahn mit Drehscheibe.
Verschiedene Gebrauchsnamen der "Bullenbahn" sind im Volksmund wohl erhalten geblieben. Darunter zählt die "Waldweiche", die sich nahe der Waldsiedlung Wuhlheide befand, sowie die "Scheibe" an der Ecke Tabbertstraße/Stubenrauchbrücke, an der sich eine Drehscheibe befand.