Industriebahn Neukölln - Hafen Neukölln
Die Geschichte der Industriebahn Neukölln beginnt im Jahr 1914. Den Anfang nahmen Gütergleise an der Ringbahn neben dem Hafen der Gas-Anstalt Neukölln (Gaswerk Neukölln) nördlich der Sonnenallee (ehemals Kaiser-Friedrich-Straße) am damaligen Neukölln-Britzer Schiffahrtskanal (Neuköllner Schifffahrtskanal) von 1912-1913. Der bereits 1902-1903 gebaute Rixdorfer Stichkanal wurde in den Jahren 1912-1914 durch eine Verlängerung zum südlich gelegenen Osthafen (heute Hafen Britz Ost) vom Teltowkanal zum Neukölln-Britzer Schiffahrtskanal. In der Verlängerung wurde die Schleuse Neukölln samt Unterhafen und Oberhafen errichtet. Im Hafen Neukölln war die Neuköllner Hafenbahn in Betrieb, ohne Anschluss an ein Schienennetz. Das Gleis zur Gastanstalt und das Gleis der Hafenbahn sollte 1914 durch den Bau einer Industriebahn verbunden werden. Zuerst wurde ein Gleis von den Gütergleisen an der Gasanstalt bis zum Hafen Neukölln verlängert und dort ein Industriebahnhof (Güterbahnhof) an der Lahnstraße in Betrieb genommen. Bis 1918 wurde das Gleis der Industriebahn mit dem Gleis der Hafenbahn verbunden. In den Folgejahren folgten mehrere Anschlussgleise zu nahegelegenen Fabriken und Industriegleise zu abgelegenen Fabriken. Heute ist die Industriebahn Neukölln neben den Gleisen der Werkbahnen am Güterbahnhof Ruhleben die einzig noch betriebene Berliner Industriebahn. Der Betreiber ist seit 1989 die 1988 gegründete Industriebahn-Gesellschaft Berlin mbH (IGB).
Güterbahnhof Neukölln-Treptow / Güterbahnhof Berlin-Treptow
Der Güterbahnhof Neukölln-Treptow liegt auf der Ostseite der Ringbahn zwischen Kiefholzstraße und Neuköllner Schifffahrtskanal. Von diesem Güterbahnhof aus wurde die Gas-Anstalt Neukölln nördlich der Sonnenallee (ehemals Kaiser-Friedrich-Straße) bedient. Die Industriebahn Neukölln wurde an den Güterbahnhof Neukölln-Treptow angeschlossen. Der Anschluss war anfangs provisorisch.
Der Güterbahnhof Neukölln-Treptow wurde und wird seit bestehen auch Güterbahnhof Treptow sowie wurde einige Zeit lang offiziell sogar Güterbahnhof Berlin-Treptow genannt. Der Güterbahnhof Neukölln-Treptow lag schon immer nur auf Gemarkung von Neukölln. Sein Name wurde zur Unterscheidung zum Güterbahnhof Neukölln am U-Bahnhof Neukölln der Ringbahn gewählt.
Verwaltungsbericht der Stadt Neukölln Ausgabe 1914/1918
Gemarkung: "Die Bahn erstreckt sich von der Kiefholzstraße bis zur Britzer Allee [Chris-Gueffroy-Allee] und verläuft in ihrer gesamten Länge ausschließlich innerhalb der Gemarkung Neukölln, doch kann bei Bedarf dieselbe nach Süden über den Teltowkanal in das geplante Britzer Industriegebiet verlängert werden."
Lazarettbaracken: "Zur Versorgung der auf den Transporten zu den Kriegsschauplätzen auf der Bahn erkrankten Soldaten wurden auf dem Güterbahnhof Neukölln sofort bei Beginn des Krieges zwei Lazarettbaracken errichtet."
Verordung zur Metalleinziehung ("Gold gab ich für Eisen"): "Zur Abfuhr dieser Metalle, die teilweise nach dem Lagerplatz am Osthafen, teilweise nach dem Güterbahnhof Neukölln geschafft und dort in Waggons verladen werden mußten, stellte das Res.-Inf.-Regt. 64, das in der Schule Erkstraße untergebracht war, Mannschaften auf Tage zur Verfügung."
Hauptgleis Anschliesser
Vom Hauptgleis in der Lahnsraße zweigten mehrere Anschlussgleise zu verschiedenen nahegelegenen Fabriken ab. Über den alten Güterbahnhof hinaus bestand ein Gleis zum Karstadt Lager in der Bergstraße (heute Karl-Marx-Straße). Vom alten Güterbahnhof bestand ein Anschlussgleis zum Hafengleis am westlichen Kai vom Oberhafen. Zudem bestand auf freier Strecke eine Weiche mit einem Gleis zum Hafengleis am westlichen Kai vom Unterhafen. An diesem Kai wurden das Hafengleis in den 1990er Jahren teilweise entfernt, sowie wurde der Anschluss an das Hauptgleis unterbrochen.
Industriegleis Nobelstraße
Ein erstes Industriegleis wurde zu den Zoellner-Werke in der Nuköllnische Allee verlegt, das später bis zur Nobelstraße verlängert wurde. Über dieses wird bis heute die Fabrik (Kaffeerösterei) der Firma Jacobs Douwe Egberts (JDE) beliefert.
Industriegleis Ziegrastraße
An das Industriegleis Nobelstraße wurde über eine Weiche das Industriegleis Ziegrastraße zu den Fabriken an der Ziegrastraße angeschlossen. Dieses Gleis sollte in Verlängerung der Anschluss an einen geplanten und nie realisierten Güterbahnhof auf freiem Acker zwischen Dieselstraße und Kiefholzstraße werden, der an der Eisenbahnbrücke der Ringbahn über die Kiefholzstraße an die Ringbahn angeschlossen werden sollte. Zuletzt wurde das Industriegleis Ziegrastraße für Sonderfahrten zum Hotel Estrel Convention Center verwendet. 2018 wurde das Gleis östlich neben dem Hotel nördlich der Sonnenalle entfernt.
Industriegleis Unterhafen / Industriegleis Hafen Britz
An das Industriegleis Ziegrastraße wurde über eine Weiche das Industriegleis Unterhafen zum Hafengleis am östlichen Kai vom Unterhafen der Schleuse Neukölln im Neuköllner Schifffahrtskanal angeschlossen. Der Anschluss an den Hafen wurde über ein Kopfgleis realisiert. Genauer genommen ist das Kopfgleis, das vom Ziegragleis abzweigt, das geplante und nie realisierte Gleis bis zum Hafen Britz Ost am Teltowkanal. Von diesem geplanten Industriegleis Hafen Britz zweigt das Industriegleis Unterhafen über eine Weiche ab. Im Zuge vom Bau der Autobahn 100 (A 100) wurde dieses Gleis im Jahr 2013 an der Kopfweiche entfernt. Im selben Jahr wurd zudem das zugehörige Hafengleis am östlichen Kai vom Unterhafen entfernt.
Verwaltungsbericht der Stadt Neukölln Ausgabe 1914/1918
"Die bestehende Neuköllner Hafenbahn auf der Westseite des Neukölln-Britzer Schiffahrtskanals ist durch einen kurzen Gleisstrang bahnrückwärts an die Industriebahn angeschlossen, der den Unterhafen überbrückt."
"Mit dem Bau der Neuköllner Industriebahn sollte im Herbst 1914 begonnen werden. Der Krieg zwang dazu, die Aufnahme der Arbeiten bis zum Jahre 1918 zu verschieben. Die jähe Beendigung des Krieges und die sich daran anschließende gewaltige, bald einen bedrohlichen Umfang annehmende Arbeitslosigkeit veranlaßte im Spätherbst 1918 die städtischen Körperschaften, den Bau der Neuköllner Insudtriebahn als Notstandsarbeit zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Angriff nehmen zu lassen. Mit dem Bau selbst wurde im Februar 1919 begonnen. Bei den zahlreichen Kunstbauten, die die Bahn erfordert und bei den Schwierigkeiten in der Beschaffung der erheblichen Mengen an Baumaterialien wird die Inbetriebsetzung der Neuköllner Industriebahn vor 1921 kaum zu erwarten sein."
Verwaltungsbericht der Stadt Neukölln Ausgabe 1919/1920
"Die Betriebs- und Anschlußgleisbrücke im Zuge der Grenzallee, sowie die Kreuzungsbrücke sind nahezu vollendet, während die Zweigelenkrahmenüberbauten über den Unterhafen und über die Straße 303 [Dieselstraße] noch in der Montage begriffen sind. Ganz im Anfangsstadium befinden sich noch die Schleusen- und Uferbahnbrücke."
"Auch mit dem Verlegen des Oberbaues ist im Zuge der Betriebsgleise bereits begonnen, und mit der Herrstellung der Verbindung zwischen Industrie- und Hafenbahn ist in Kürze zu rechnen."
"Falls keine unvorhergesehenen Ereignisse eintreten, ist damit zu rechnen, daß die Industriebahn bis zur Straße 303 [Dieselstraße] im Laufe des Sommers 1921 in Betrieb genommen werden kann."
Verwaltungsbericht der Stadt Berlin Ausgabe 1920/1924
"Längs des Schiffahrtskanals im Zuge der Ziegrastraße zwischen dem Köllnischen Ufer und der Kaiser-Friedrich-Straße [Sonnenallee] wurde eine Ladestraße von rund 550 m Länge und 21,4 m Breite mit Krananlage geschaffen, desgleichen zwischen der Kaiser-Friedrich-Straße [Sonnenallee] und der Anschlußbahn nach Niederschöneweide [Verbindungsbahn Baumschulenweg–Neukölln] eine rd. 150 m lange Kaianlage mit Kran zum Umschlag der Güter vom Schiff auf die Eisenbahn. Der Eisenbahnanschluß für die Hafen- und Industrieanlagen erfolgt provisorisch von den Gütergleisen der Ringbahn, nach Fertigstellung des ausgedehnten Uebergabe- und Verschiebebahnhofs jedoch vom Güterbahnhof Neukölln-Treptow aus. Sämtliche Straßen sind über- oder unterführ."
"Das umfangreichste Industriegelände Berlins liegt in Neukölln." "Das ganze Gelände wird in Baublöcke von durchschnittlich 100 m Tiefe geteilt, die mit einer Front an der Straße liegen und die gegenüberliegende Front an der Bahn oder an Bahn und Wasser haben. Jedes Grundstück kann einen gesonderten Gleisanschluß auf eigenem Grund und Boden erhalten. Die Ueberkreuzung von Hauptverkehrsstraßen erfolgt entweder durch Unter- oder Ueberführungen. Die Benutzung von Straßen für die Gleise ist grundsätzlich vermieden." "Neben zahlreichen kleineren Gleisanschlüssen wurden an größeren Zweiganschlüssen in der Berichtszeit bearbeitet und teils ausgeführt: der Anschluß der Rheinstahlwerke an die Neuköllner Industriebahn und der Anschluß der Zöllnerwerke an die Neuköllner Industriebahn."
Vorlagen für die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin Ausgabe 1922
"Nach dem landespolizeilich genehmigten Projekt ist die neue Industriebahn auf der Strecke zwischen der Grenzallee und dem Güterbahnhof Treptow mehrmals unterführt worden. Zur Durchführung der Bahn unter die Sonnenallee ist es notwendig gewesen, zu beiden Seiten der Bahnführung Stützmauern zu errichten. Offenbar in Unkenntnis der Eigentumsverhältnisse hat das Verkehrsamt den östlichen Pfeiler auf dem Grundstück der Fa. S. H. Cohn errichtet." "Zur Schaffung klarer Rechtsverhältnisse haben wir nach Bekanntwerden der Ueberbauung mit der Eigentümerin S. H. Cohn Verhandlungen eingeleitet, welche zu einem Kaufangebot seitens der Eigentümerin geführt haben."
Kehren
Für eine Fahrt vom Güterbahnhof Neukölln-Treptow zum Hafengleis am östlichen Kai vom Unterhafen der Schleuse Neukölln mussten folgende Kehren vollzogen werden:
Ringbahn - Güterbahnhof Neukölln-Treptow - Industriebahnhof Neukölln (Lahnstraße) - Kehre - Industriegleis Nobelstraße - Kehre - Industriegleis Ziegrastraße - Kehre - Industriegleis Hafen Britz Ost (Kopfgleis) - Kehre - Industriegleis Unterhafen Ost - Hafengleis Unterhafen Ost.
Neuköllner Schifffahrtskanal
Der heutige Neuköllner Schifffahrtskanal wurde in zwei Bauabschnitten errichtet. In den Jahren 1902-1903 als Rixdorfer Stichkanal vom Landwehrkanal bis zur Eisenbahnbrücke der Ringbahn. In den Jahren 1912-1913 in Verlängerung als Neukölln-Britzer Schiffahrtskanal bis zum Osthafen (Hafen Britz Ost) vom Teltowkanal.
Der Rixdorfer Stichkanal wurde im Verlauf vom Wiesen-Graben (Wiesengraben), der später Neuer Wiesen-Graben genannt wurde, gebaut. An der Mündung vom Wiesen-Graben in den Landwehrkanal (vormals Landwehrgraben) bestand über den Wiesen-Graben die Wiesen-Brücke. Der Rixdorfer Stichkanal wurde an anderer Stelle mit dem Landwehrkanal verbunden.
Der Abschnitt der Verlängerung zum Neukölln-Britzer Schiffahrtskanal wurde ebenso im Verlauf vom Wiesen-Graben vollzogen. Der Unterhafen und der Oberhafen der Schleuse Neukölln wurde anstelle zweier Teiche von zwei Eiswerken gebaut. Der Unterhafen an einem Teich von einem unbekannten Eiswerk. Der Oberhafen an einem Teich vom Eiswerk Mier (Ost-Eiswerke von H. W. Mier, später Ost-Eiswerke G. Mier & Co.). Östlich neben dem Oberhafen war ein weiterer Teich mit einer Badeanstalt.
Das Quellgebiet vom Wiesen-Graben lag in den Britzer Wiesen und Rudower Wiesen zwischen Britz und Rudow sowie Johannisthal. Im Gebiet vom nördlichen Bereich vom Kanal waren ehemals die Cölnische Wiesen.
Verwaltungsbericht der Stadt Neukölln Ausgabe 1919/1920
"Die umfangreichen Lösch- und Ladeeinrichtungen im Industriegebiet sowie die Ladestraße längs der Ziegrastraße mit dem 1,5-t-Kran, ferner dem 5-t-Kran südlich der Kaiser-Friedrich-Straßenbrücke [Sonnenbrücke] sind sämtlich fertiggestellt und schon für den Baubetrieb in Benutzung genommen."